M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Yes, we Chem! Über Freimaurer, die Rothschilds und das Heil in der Verschwörung

Ein Helm schützt gegen gefährliche Strahlungen: Micky Beisenherz hat sich mit Verschwörungstheorien beschäftigt
© Markus Gisin
Verschwörungstheorien bringen viele Vorteile: Sie sind Globuli fürs Hirn und Salbe fürs Wutzentrum. Kein Wunder, dass die Gruppe der Anhänger schneller wächst als so mancher Kornkreis.
Eine Kolumne von Micky Beisenherz

Wenn Sie in den Himmel schauen, was sehen Sie da? Also, außer den Air-Berlin-Fliegern, die nicht da sind. Haben Sie sich jemals ernsthaft um Chemtrails gesorgt? Also, das, was wir als Kondensstreifen kennen, aber von einer hartnäckigen Gruppe Menschen als Chemikalien angesehen werden, die von "denen da oben" versprüht werden, um unsere Gedanken zu kontrollieren, bzw. uns geistig taub und kritiklos zu machen. Chemtrails. Vermutlich nur eine Erfindung der Alufolienindustrie.

Sind Sie auch schon Verschwörungstheoretiker? Wäre nicht weiter verwunderlich. Diese Gruppe wächst ja schneller als so mancher Kornkreis. Und wo fängt die Verschwörungstheorie an? Wenn ich beim Begriff 11. September sofort "Gebäude sieben!" von hinten von der Bierbank brülle?

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Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Wenn ich der festen Überzeugung bin, dass in der Area 51 E.T.s hässliche Schwester zusammen mit Elvis Presley und Michael Jackson (der eigentlich gleichzeitig seine Schwester LaToya ist) abhängt? Oder bereits, wenn ich annehme, dass "die Systemmedien" ohnehin nur das berichten, was ihnen die Kanzlerin morgens mit dem Magneten an die Kühlschranktür geheftet hat?

Keine Ahnung. Ich bin offenbar sehr fantasieunbegabt. Dabei sind Verschwörungstheorien und ihre alubehüteten Anhänger sehr unterhaltsam. Stevie Wonder zum Beispiel ist gar nicht blind. Das Ganze war nur ein Marketinggag, um sein erstes Album zu pushen - und jetzt kommt er aus der Nummer nicht mehr raus. Das Stanford Research Institute hat einen Mann gefunden, dessen Körper im Dunkeln leuchtet (was an einem gewöhnlichen Dienstagabend im Berghain kaum weiter auffallen dürfte). Und Lady Di wurde sowieso vom MI6, bzw. von der Queen höchstpersönlich erledigt.

Wussten Sie, dass Adelheid Streidel, die Attentäterin von Oskar Lafontaine (nein, Gerhard Schröder steckt nicht dahinter) lange glaubte, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten in riesigen unterirdischen Tötungsfabriken zu Konserven verarbeitet oder zu Intellektuellen umfunktioniert würden, indem man ihnen den Kopf abtrennte und einen neuen annähte? Sie habe einmal einen Film gesehen, in dem Helmut Kohl eine solche Fabrik besichtigte. Gut, das war 1990. Würde Trump so etwas heute twittern, würde schon keiner mehr lachen.

Am Ende ziehen immer unheimliche Mächte die Fäden

Auffällig ist: Egal, ob Kennedy-Ermordung, 9/11 oder die Russen, die irgendwo in Sibirien Kinder mit tödlichen telepathischen Fähigkeiten ausbilden: Am Ende sind es immer unheimliche Mächte, die im Dunkeln die Fäden ziehen, die weiße Katze auf dem Schoß kraulen und lachend zusehen, wie sich langsam alles zu ihren Gunsten fügt. Wir, die wir nicht daran glauben, sind natürlich Lemminge, die jeden Scheiß fressen, der uns vorgesetzt wird. Streng genommen sind an allem eigentlich immer die Rothschilds schuld, oder sagen wir's doch gleich: die Juden.

Eine wenig glückliche Rolle spielte in diesem Zusammenhang zuletzt der viel gescholtene Eugen Jehovas, Xavier Naidoo, der sich - ohnehin schon angezählt - mit seinem "Marionetten"-Liedchen endgültig zum musikalischen Arm der AfD machte. Nach eingängiger Betrachtung der Verse galt er plötzlich als Spinner, der im Grunde genommen nix anderes mache, als bekifft sämtliche Bücher vom Kopp-Verlag runter zu singen. Eine etwas gemeine Unterstellung, wenn man bedenkt, dass die Texte schon 1999 einen gewaltigen Hau hatten.

Zumindest die zionistische Weltverschwörung kriegt dankenswerterweise gerade ein bisschen Entlastung aus dem Osten. Momentan steckt hinter jeder Schweinerei Putin. Trump, May, der platte Fahrradreifen: Nix, was sich nicht mit einem perfiden Russenhack erklären lässt.

Globuli fürs Hirn

Verschworen wird immer und überall. Alles, was vorstellbar ist, ist nicht nur machbar. Im Falle der Verschwörungstheoretiker ist es schlicht: wahr. Manchmal, oder vielleicht sogar sehr häufig, muss man wohl lernen, sich damit abzufinden, dass die Dinge keinem übergeordneten Plan gehorchen, sondern schlicht das Zusammenlaufen von Zufällen oder begünstigenden Umständen sind.

Es ist halt wahnsinnig schwer zu akzeptieren, dass vieles einfach, nun ja, keinen Sinn hat. Genauso wenig Sinn wie die Sache mit den Chemtrails. Eine Theorie, die sich meines Erachtens selbst widerlegt, denn: Wenn - sagen wir mal - die Bundesregierung diese Chemikalien versprühen lässt, um uns Menschen zu willen- und vor allem kritiklosen Wesen zu deformieren - ist dann das besonders kritische Nachhaken der ach so Chemtrail-Geschädigten nicht der Beweis des Gegenteils?

Keine Ahnung. Wenn es nicht gerade dazu führt, dass irgendwelche Reichsbürger versuchen, den Staat und seine Institutionen zu zerstören, sind Verschwörungstheorien sowas wie Globuli fürs Hirn: Keine nennenswerten Inhaltsstoffe - dem Nutzer geht's aber gefühlt besser.

Salbe fürs Wutzentrum

Diese Welt ist so unglaublich komplex, mehrdeutig und vielschichtig grau geworden - da ist ein "DIE haben das alles geplant!" eine schöne Salbe fürs waidwunde Wutzentrum. Womöglich gibt es Halt, dass hinter jeder noch so großen Ungerechtigkeit zumindest jemand steht, der das minutiös geplant hat.

Das Ergebnis ist dasselbe - aber die "wahren Gründe" für die Entstehung zu kennen, muss rasend entlastend sein. Aber es soll ja auch Leute geben, die daran glauben, dass vor 2000 Jahren eine Jungfrau ein Kind geboren hat, das 33 Jahre später kurz nach seinem Tode auferstanden ist. Kennen Sie so jemanden?

Zwischen Protesten, Kritik und Erfolg: Xavier Naidoo bleibt umstritten

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